XX / 25. Sitzung

BVV-Report

Die erste Diskussion des Abends begann dieses Mal bereits bei den Dringlichkeitsanträgen. SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP und Linksfraktion bemängelten den Umgang des Stadtrats für Jugend und Sport, Dollase, mit dem Antrag auf BVV-Sondermittel für einen Zeltplatzbetreiber für Jugendfahrten, dessen Stellungnahme für das BA ausschließlich nach Aktenlage und ohne Rückkopplung mit der Abteilung von Fr. Schulze-Berndt erfolgt war. Im Ergebnis musste der Antrag von der BVV erneut vertagt werden. Felix Lederle betonte allerdings, dass die Sondermittelvergabe, die nicht zuletzt auch auf Initiative der Linksfraktion einstimmig eingeführt wurde insgesamt sehr gut funktioniert hat und viele Projekte, die gute und wertvolle Arbeit für den Bezirk leisten, bereits gefördert werden konnten.

Bei den Einwohnerfragen gab es die Besonderheit, dass Anwohner*innen des Alten Bernauer Heerwegs gleich sieben Fragen einbrachten, was den weit verbreiteten Unmut der AnwohnerInnen gegen den BVV-Beschluss vom Oktober verdeutlicht. Nachdem die CDU mit Stimmen der AfD und der FDP in der BVV beschlossen hatte, dass eine Verbindungsstraße am Alten Bernauer Heerweg, der zurzeit eine Sackgasse ist, geöffnet und ertüchtigt werden soll, um vermeintlich den Ortsteil Lübars verkehrsmäßig zu entlasten, formierte sich zwischenzeitlich großer Widerstand der Anwohner*innen. Diese wollten nun u.a. wissen, ob es ein Gutachten darüber gibt, ob die Maßnahme eigentlich zu einer Verringerung des Verkehrsflusses in Lübars führen würde. Ein Gutachten, eine Verkehrszählung oder irgendwelche gesicherten Daten liegen dem BA allerdings nicht vor. Felix Lederle bezweifelte, dass zwingend eine Entlastung stattfinden würde, im Gegenteil: Die Erfahrungen zeigen, dass häufig mehr Straßen zu noch mehr Verkehr führen. Gute Verkehrspolitik kann auch nicht nach dem Sankt-Florian-Prinzip betrieben werden. Der idyllische Charakter des Wohngebietes beim Alten Bernauer Heerweg würde überdies zerstört. Diskutiert wurde auch die Frage, ob der Antrag der CDU eigentlich dazu dient, eine weitere Straßenverbindung in die Innenstadt zu schaffen. Die nötigen Mittel von etwa 1,5 Mio. Euro und die nötigen personellen Ressourcen sind nach Ansicht der Linksfraktion in jedem Fall sinnvoller einzusetzen. Die aus Sicht der Linksfraktion berechtigte Forderung zahlreicher AnwohnerInnen des Waldseeviertels, das insbesondere zu den Stoßzeiten massiv durch motorisierten Individualverkehr belastete Wohngebiet zu entlasten, wird von der CDU hingegen ausgebremst,obwohl sie durch ein fundiertes Gutachten im letzten Verkehrsausschuss gut belegt und begründet ist. Offenbar verfolgt die CDU nach wie vor eine antiquierte Verkehrspolitik, die unabhängig von gesicherten Erkenntnissen in erster Linie nur auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet ist.


Eine erfreuliche Nachricht ist, dass im Bezirksamt Reinickendorf eine zusätzliche Stelle für eine/n Klimaschutzbeauftragte/n geschaffen werden wird, wie sich auf Nachfrage der Grünen herausstellte.

Die Deutsche Wohnen möchte in hunderten ihrer Wohnungen in der Weißen Stadt Tablet-gesteuerte Heizungssteuerungen - "MiA - Mein intelligenter Assistent" - einbauen. AfD-Stadtrat Hr. Maack begrüßte dies begeistert als Attraktivitätssteigerung der Wohnungen. Die Nachfragen der Linksfraktion entlarvten allerdings, dass Hr. Maack keinerlei Kenntnisse über MiA besitzt, was die Effektivität solcher Systeme betrifft, mögliche Folgekosten, Fragen von Wartung & Reparatur oder Service-Prozessen bei Problemen, mit Blick auf den Datenschutz und die Datensouveränität sowie bezüglich der mietrechtlichen Rahmenbedingungen bei Einführung solcher Systeme. So konnte Hr. Maack keine Auskunft geben, ob die von ihm erwähnten älteren Mieter, die fürchten, nicht mit der neuen Technik umgehen zu können, den Einbau verweigern können und konnte ebenfalls nicht einschätzen, ob die DW den MiA-Einbau als eine zu duldende Modernisierung deklarieren und ob die DW die Kosten über die Modernisierungsumlage den Mietern aufs Auge drücken kann.

Eine hitzige Debatte entstand bei den geringfügig unterschiedlichen Anträgen von CDU und AfD zur Abschiebung ausreisepflichtiger Flüchtlinge. Beide sind populistische Schaufensteranträge, die eigentlich im Abgeordnetenhaus oder besser im Bundestag behandelt werden müssten, da die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen Bundesrecht sind und die Bundesländer nur für den Vollzug zuständig sind. Die Linke Verordnete Deniz Seyhun beklagte sich in einer flammenden Rede über das Dauerthema Flüchtlinge im Bezirksparlament, das durch ständige Angstmache und dauernde Wiederholung ein Klima der Distanz zu Menschen mit Migrationshintergrund herbeiführe und schließlich auch zur ständig wachsenden Gewalt von rechts beitrage. Verständnis und gutes Zureden helfe in diesem Falle nichts und die CDU werde keine Stimmen holen, indem sie die AfD kopiere. Der AfD Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, der Antrag der CDU wurde mit den Stimmen von CDU und AfD beschlossen.

Viel wichtiger wäre es, Politik zu machen, die tatsächlich den Menschen im Bezirk konkret hilft. Dieses Ziel hatte der Antrag der Linksfraktion, eine Schlichtungsstelle für ratsuchende Bürgerinnen und Bürger bei Schwierigkeiten mit dem JobCenter Reinickendorf einzurichten, um zu versuchen, strittige Fragen im Vorfeld eines Widerspruchsverfahrens und/oder einer Klage einvernehmlich zu klären. Dies würde Verwaltungsaufwand beim JobCenter und den Gerichten und Kosten und somit Steuermittel sparen. Jeder einzelne dieser Fälle von Widersprüchen und Klagen

geht zudem mit einer materiellen und psychischen Belastung für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger einher, die auf Leistungen vom JC angewiesen sind und in einigen dieser Fälle könnte eine Schlichtungsstelle von vorneherein Abhilfe schaffen und die Betroffenen entlasten.

In Friedrichshain-Kreuzberg existiert bereits eine erfolgreich arbeitende Ombudsstelle, in Charlottenburg-Wilmersdorf wurde eine solche aktuell eingerichtet. CDU, FDP und AfD brachten es trotzdem fertig, zu argumentieren, es gäbe keinen Bedarf für Schlichtung in Reinickendorf dass es von vorneherein unmöglich sei, geeignetes Personal zu finden. Die gleichen Fraktionen, die soeben einen reinen Schaufensterantrag zum Thema Abschiebungen beschlossen hatten, nämlich CDU und AfD, ließen diesen pragmatischen, konkreten und für alle Seiten hilfreichen Vorschlag nun durchfallen.

Insgesamt verstärkte sich der Eindruck einer Art informellen Zählgemeinschaft von CDU und AfD. In fast allen Fragen bestand Einigkeit zwischen CDU und AfD, sowohl beim Bürgeranliegen zum alten Bernauer Heerweg, als auch in der Frage des Zeltplatzbetreibers, sowie bei vier von fünf Anträgen, die ausschließlich mit den Stimmen von CDU und AfD beschlossen bzw. abgelehnt wurden. Eine solch enge Liaison mit der AfD ist in Berlin einzigartig und findet in Reinickendorf viel zu wenig Beachtung. Die Linksfraktion erinnert an die aktuelle Einschätzung des evangelischen Kirchentages, wonach der Übergang zum Rechtsextremismus bei der AfD fließend ist.