XX / 21. Sitzung


BVV-Report

Bevor es zur Einwohnerfragestunde ging musste sich der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen zunächst in zweierlei Hinsicht erklären: Erstens werde er Deutschland nicht verlassen und zweitens finde er Deutschland nicht „Scheiße“. Grund dafür war, dass der AfD-Verordnete Rolf Wiedenhaupt einen Facebook-Post Westerkamps im Laufe der AfD-Gegendemo im Mai dahingehend missverstand, diesem gefiele dieses Land nicht. Daraufhin forderte ihn der Fraktionsvorsitzende der AfD auf, Deutschland zu verlassen, was er in seiner folgenden Erklärung auch bekräftigte.

Die Linksfraktion steht solidarisch an der Seite des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/ Die Grünen. Wenn es eine Partei gibt, die ein Problem mit der Bundesrepublik Deutschland hat, dann ist dies aus unserer Sicht die AfD. Es sollte nicht bei diesem Skandal bleiben. Doch dazu später mehr.


Zunächst fragten die Bewohner der Trettachzeile 15 das Bezirksamt, wie es zu der Fehleinschätzung der Wohnungsaufsicht kommen konnte, die keinen Zusammenhang zwischen dem undichten Dach und der Feuchtigkeit in den Wänden und dem damit einhergehenden  Schimmelbefall erkennen konnte. Keine der Fraktionen, außer der CDU konnten sich erklären, weshalb dieser Zusammenhang nicht in den Bericht der Wohnungsaufsicht aufgenommen wurde. Bezirksbürgermeister Balzer blieb jedoch bei seiner Meinung, dass die Wohnungsaufsicht davon ausgehen musste, dass trotz Loch im Dach, statt dessen zu nah an die Wand gestellte Möbelstücke und falsches Lüften und damit Fehlverhalten der Mieter ursächlich für  den Schimmelbefall sei.

Die gute Nachricht ist, dass das undichte Dach endlich repariert worden ist, wenngleich dies ewig gedauert hat und Hr. Balzer auf Nachfrage des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN in der BVV eine Reparatur bis zum Winterbeginn 2017 in Aussicht gestellt hatte. Weitere Fragen zur Trettachzeile thematisierten den Denkmalschutz. Dies gab dem Vorsitzenden der Linksfraktion die Gelegenheit, erneut deutlich zu machen, dass die Linksfraktion erwartet, dass keine denkmalgeschützten Gebäude abgerissen werden dürfen und keine Bebauung erfolgen darf die höher ist als das denkmalgeschützte Ensemble. Das Alte Wasserwerk Tegel ist ein schützenswertes Stück Reinickendorfer Geschichte und die Argumentation des Investors PI, das Bauprojekt sei „nicht wirtschaftlich“, wenn der Denkmalschutz eingehalten wird, ist nicht stichhaltig. PI wusste vor dem Grundstückskauf, dass sich auf dem Gelände denkmalgeschützte Gebäude befinden, hat das Grundstück preiswert erworben und muss aufgrund einer Trickserei nur 25% mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen errichten, so dass die Frage der Wirtschaftlichkeit keineswegs von der Erteilung einer Abrissgenehmigung für denkmalgeschützte Gebäude abhängt. Eine weitere Frage betraf den Waidmannsluster Damm 155, wo trotz seit einem Jahr vorliegender Baugenehmigung aufgrund eines Klageverfahrens noch kein Spatenstich vollzogen wurde. Das Bezirksamt hat aber keine rechtliche Handhabe dagegen vorzugehen. Der Vorschlag von Felix Lederle, die Problematik als Besprechungspunkt im Stadtentwicklungsausschuss zu behandeln und die Fragesteller einzuladen, fand großen Zuspruch und wird am 28.6. im Ausschuss für Stadtentwicklung so umgesetzt werden.

Nun zum zweiten Skandal. Die Verordnete der Linksfraktion, Deniz Seyhun, wollte vom Bezirksamt wissen, was es davon hält, dass Stadtrat Maack (AfD) auf seinen FacebookAccounts Texte ohne Angabe von Belegen postete, in denen er fragt, warum sich angeblich niemand über „massenhafte und bestialische Vergewaltigungen“ (aus dem Kontext ergibt sich, dass gemeint ist, durch Migranten und Geflüchtete) aufrege, sich aber viele über anzügliche Bemerkungen gegenüber Frauen echauffieren. Hr. Maack antwortete gleich selbst und jonglierte mit einer Kriminalstatistik von 2017, offenkundig mit dem Ziel, Mitbürger*innen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete grundsätzlich als potentielle Sexualverbrecher zu brandmarken. Und das obwohl die Verfasser, das BKA, die Eignung der Studie für genau solche vermeintlichen Rückschlüsse explizit ausschloss. Eine Quellenangabe hätte zur früheren Aufklärung durch jemanden beitragen können, der die Studie tatsächlich gelesen hat. Die Nachfrage von Deniz Seyhun, ob der Stadtrat Feminist sei, verneinte dieser erwartungsgemäß. Letztlich konnte Hr. Maack, seine Behauptung  „massenhafte und bestialische Vergewaltigungen“ nicht belegen. Belegen konnte er lediglich die allgemein bekannte Tatsache, dass es auch in Deutschland im Jahr 2017 (wie auch bereits vor hundert oder tausend Jahren) Vergewaltigungen gab. Jeder Fall von sexuellem Missbrauch ist einer zu viel und jede sexistische Bemerkung ebenfalls. Einen dramatischen Anstieg von Vergewaltigungen gibt es in Deutschland aber keineswegs. Vor diesem Hintergrund sind die Posts von Hr. Maack als rechte Stimmungs- und Panikmache zu verbuchen, die für jemanden, der den Bezirk Reinickendorf repräsentiert, inakzeptabel sind. Dafür, dass Hr. Maack mit Blick auf seine FB-Aktivitäten nicht ausreichend zwischen privat und beruflich trennt, wurde er zu recht bereits vom Bezirksbürgermeister gerügt.


Der nächste Paukenschlag kam direkt im Anschluss: Mit den Stimmen der CDU konnte die AfD ihren ersten Antrag in der BVV durchbringen! Ein Antrag, formal falsch als Ersuchen deklariert, der den Rückbau von  Hauptverkehrsstraßen in Reinickendorf grundsätzlich verbieten soll. Die CDU stimmte zunächst in zwei Ausschüssen gegen den Antrag, wobei sie zu Recht darauf hinwies, dass ein solches generelles Verbot ohne Berücksichtigung des konkreten Anlasses und ohne Benennung einer konkreten Straße verkehrspolitisch unsinnig ist und jede Verkehsplanung verunmöglicht. Dann plötzlich und ohne weitere Begründung kam im Frühjahr dieses Jahres der Schwenk zur Zustimmung. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Felix Lederle, ließ den Antrag daraufhin durch das Rechtsamt prüfen. Dieses merkte an, dass der Antrag als Empfehlung hätte gestellt werden müssen und dass ein pauschales Verbot eines Rückbaus von Hauptverkehrsstraßen den nach Recht und Gesetz in Berlin geltenden Planungsverfahren für Straßenbauprojekte widerspricht. Der Antrag sei nur deshalb rechtlich zulässig, weil er nicht in die Zuständigkeit des Bezirkes falle. Gleichzeitig könne er aber gegenüber dem Senat unmöglich eine Wirkung entfalten Die Zustimmung der CDU zu einem solch politisch sinnlosen und rechtlich nicht umsetzbaren Antrag lässt sich aus Sicht der Linksfraktion nicht inhaltlich begründen. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass sachfremde, taktische Überlegungen im Umgang mit der AfD für die Zustimmung der CDU maßgeblich waren. Nachdem die AfD monatelang herumgeningelt hat, dass sie angeblich benachteiligt würde, ist die CDU offenbar zu dem Schluss gekommen, jetzt einfach mal den erstbesten AfD-Antrag durchzuwinken. Dieses unsouveräne Vorgehen der CDU führt zu einer Aufwertung der AfD und ist Ausdruck einer Verunsicherung der CDU, die sich von der AfD ohne Not unter Druck setzen lässt. Eine gemeinsame Erklärung der Fraktionen von SPD, Bündnis90/Grüne und DIE LINKE. wurde in der Zwischenzeit veröffentlicht.


Zum Abschluss stand eine Große Anfrage zu den Schülerzahlen im Bezirk auf der Tagesordnung. Die Linksfraktion gratuliert der Max-Beckmann-Oberschule und dem Friedrich-Engels-Gymnasium. Zur Wahrheit gehört aber auch: Über dreihundert Schüler*innen konnten nach Abschluss der Grundschule in diesem Jahr keinen Platz an ihrer Wunschschule erhalten. Viele Schüler bekommen gar keinen Platz an einer Schule, die bis zum Abitur führt. Der zuständige Stadtrat Dollase war dennoch sehr zufrieden mit seiner Arbeit, was zu großem Unverständnis vieler Fraktionen führte. Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Marion Kheir, stellte in ihrer Rede nicht die Zahlen, sondern die Schüler*innen in den Mittelpunkt. Durch die knappen Plätze an vielen weiterführenden Schulen beginnt der Noten- und Konkurrenzdruck bereits in der Grundschule, genau dort wo er fehl am Platz ist. Die Situation kann sich auch negativ auf die soziale Kompetenz der Heranwachsenden auswirken. Große Priorität sollte aus Sicht der Linksfraktion die Erweiterung der Gemeinschaftsschule Campus Hannah-Höch mit einer Sekundarstufe II besitzen. Berlinweit sind Gemeinschaftsschulen mit Sekundarstufe II bei Eltern und Schülern sehr beliebt, so können mehr Schüler einen Platz an der Wunschschule erhalten.