XX / 44. Sitzung

BVV-Report

Einwohnerfragen

Die 44. BVV-Sitzung startete mit einem Stimmungsdämpfer, als Bezirksstadträtin Schultze-Bernd auf eine Einwohnerfrage antwortete, dass die beschlossenen temporären Modalfilter im Waldseeviertel erst im erste Quartal nächsten Jahres kommen werden, da sich Corona-bedingt Verkehrszählungen und Prüfungen verzögert haben. Die Linksfraktion geht fest davon aus, dass der einstimmige BVV-Beschluss so schnell wie möglich umgesetzt wird.

Mündliche Anfragen

Die erste positive Nachricht ließ aber nicht lange auf sich warten, als Bezirksstadtrat Herr Dollase auf mündliche Anfrage der CDU-Fraktion antwortete, dass der Schulneubau in Reinickendorf-Ost nun bald in die Wege geleitet werden könne und der entsprechende positive Bescheid der Landesregierung nun in Kürze erwartet werde.

Der erste AfD-Skandal kam in dieser Sitzung nicht unerwartet, aber unerwartet schnell. Herr Wiedenhaupt erhob schwere Vorwürfe gegen die Gemeinschaftsschule Hannah-Höch, dass diese einen Verstoß gegen die Quarantäneverfahren begangen hätte. Seine ihm per Whattsapp zugespielten Informationen erklärte er kurze Zeit später als fake-news und brachte es fertig, sich nicht wegen der schweren, öffentlich geäußerten, ungeprüften und falschen Vorwürfe zu entschuldigen.

Marion Kheir fragte, warum die Seniorenvertretung noch nie im Sinne des Seniorenmitwirkungsgesetzes an der Erarbeitung einer seniorenrelevanten Vorlage des Bezirksamtes beteiligt worden ist. Nach einem Wortgefecht mit der Linksfraktion erklärte sich die zuständige Stadträtin Frau Schultze-Berndt erfreulicherweise dazu bereit, wenn die Seniorenvertretung sie bei einem konkreten Antrag darum bittet.

Deniz Seyhun fragte, weshalb es keinen Vergabebericht für Reinickendorf gibt. Bezirksbürgermeister Herr Balzer erklärte, dass er keinen Bedarf dafür sieht und verwies auf den dadurch entstehenden zusätzlichen Arbeitsaufwand. Schade, denn Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Gelder kann nach Auffassung der Linksfraktion nicht groß genug geschrieben werden! Aufgrund der Organisation durch eine zentrale Vergabestelle ließe sich der Aufwand für die Erstellung eines Vergabeberichts auch in einem vertretbaren Aufwand halten.

Temporäre Radwege in Reinickendorf

Als nächstes wurden endlich die drei Anträge der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zu Pop-Up-Radwegen in Reinickendorf behandelt, nachdem sie bereits im April in die BVV eingebracht wurden. Das Ziel: Fahrradfahren gerade in der Corona-Zeit sicherer gestalten und attraktiver machen und so den ÖPNV in Zeiten der Corona-Pandemie entlasten und die Ansteckungsgefahr im ÖPNV verringern. Trotz zweier großer Kundgebungen der Zivilgesellschaft im Mai und Juni für temporäre Radwege wurden alle Anträge in der BVV-Sitzung vom 9. September mit den Stimmen von CDU, FDP, SPD und AfD abgelehnt.

Der erste Antrag (Drucksache 2575/XX) forderte das Bezirksamt lediglich auf, mit der zuständigen Senatsverwaltung Kontakt aufzunehmen, um die Möglichkeiten temporäre Radwege einzurichten, zu erörtern. Die anderen Fraktionen konnten aber überhaupt keinen Zusammenhang und Grund erkennen, den Radverkehr gerade in Corona-Zeiten zu fördern.

Zwei weitere konkrete Anträge (Drucksachen 2566/XX und 2567/XX) schlugen – in Ermangelung derzeit fertig geplanter Radwege im Bezirk - temporäre Radwege als abmarkierte Schutzstreifen in Form einer gestrichelten Linie auf Teilstücken des Oraniendamms und des Hermsdorfer Damms vor. Durch diese Lösung könnten Autofahrer die Radwege auf dem Weg zum Parkplatz überfahren. Die Anträge sahen explizit nicht vor, dass Parkplätze verloren gehen. Ausgewählt wurden Strecken, auf denen durch temporäre Radwege keine übermäßige Belastung für andere Verkehrsteilenehmer entstehen würde. Gleichzeitig würde die Einrichtung von temporären Radwegen auf den vorgeschlagenen Strecken auch aus Sicht des ADFC einen realen Mehrwert für den Radverkehr bringen. Hierzu erklärte Felix Lederle: „Am Oraniendamm hatten wir aktuell aufgrund der Baustelle derzeit ohnehin faktisch in weiten Teilen einspurigen PKW-Verkehr, so dass eine gestrichelte Linie auf dem benannten Teilstück nicht zu unannehmbaren Zumutungen für den Motorisierten Individualverkehr führen kann, zumal hier keine Parkplätze und eine überbreite Fahrspur je Richtung vorhanden sind. In Fahrrichtung Nord ist seit langem das "mittige" Fahren von PKWs zu beobachten. Von einer besonderen Kapazitätsbeschränkung kann keineswegs ausgegangen werden. Auf dem Hermsdorfer Damm könnte in Folge der Einrichtung eines temporären Radwegs auf dem benannten Teilstück, der Radverkehr ab Dohnensteig, in die bereits vorgesehene Radroute in die Forststraße abbiegen. Bei stetig wachsendem Radverkehr besteht gerade in Corona-Zeitenein großes Interesse der Zivilgesellschaft an sicherer Fahrradverkehrsinfrastruktur. Es ist erfreulich, wenn in diesen Zeiten viele Menschen vom ÖPNV auf das Fahrrad umsteigen. Umso ärgerlicher jedoch, dass dies durch die Bezirkspolitik nicht berücksichtigt wird. Das Bezirksamt sollte nun mit dem Bündnis für temporäre Radwege im Bezirk zeitnah ins Gespräch kommen, wie der Radverkehr in Corona-Zeiten in Reinickendorf gefördert werden kann.

Große Anfragen

Im Folgenden wurden drei Große Anfragen der AfD behandelt, obwohl während der Corona-Pandemie ein demokratischer Konsens geschaffen wurde, die Mitarbeiter*innen des Bezirksamts zu entlasten, der nun endgültig hinfällig ist. Beide Großen Anfragen hätten aber genauso gut als schriftliche Anfragen gestellt werden können und wiesen teilweise inhaltlich so große Schwächen auf, dass Bezirksbürgermeister Balzer dies in ungewohnt scharfer Form, öffentlich rügte.

Die dritte Große Anfrage zum Wohnungsbau in Reinickendorf entfachte dann aber erwartungsgemäß eine hitzige Debatte, bei der sich der AfD-Fraktionsvorsitzende u.a. zu einer unwahren und bösartigen Bemerkung über DIE LINKE Hinreißen ließ, für die er umgehend von der stellv. BVV-Vorsteherin, Sabine Burk, gerügt wurde. In der Debatte waren sich der Bezirksbürgermeister von der CDU und der Fraktionsvorsitzende der LINKEN einig, dass es objektive, strukturelle Gründe gibt, die einer wünschenswerten, weiteren Beschleunigung des Wohnungsbaus Grenzen setzen: Bauboom und volle Auftragsbücher von Bauunternehmen und Schwierigkeiten gerade für die Bezirke Fachpersonal und Bauingenieure zu gewinnen und zu halten, massive Flächenknappheit und harte Flächenkonkurrenzen, Spekulation mit Grundstücken, für die lediglich eine Baugenehmigung eingeholt wird, um den Preis für Weiterverkauf zu späterer Zeit in die Höhe zu treiben, ohne dass diese für Bebauung tatsächlich zur Verfügung stehen… Die B-Plan-Aufstellung dauert darüber hinaus heute zwar fast doppelt so lang wie zu früheren Zeiten, zumal heutzutage sehr viele Gutachten angefertigt werden müssen. Felix Lederle betonte aber, dass DIE LINKE keiner Betonideologie folgt und es nicht darum gehen kann, dass irgendwie, irgendwo, irgendwas gebaut wird, sondern bezahlbare Wohnungen entstehen müssen und dabei auch die Lebensqualität in Berlin mit Grün- und Freiflächen zu erhalten ist. DIE LINKE will das Bauen nicht dadurch beschleunigen, dass zukünftig auf Umwelt- und Artenschutzgutachten, Denkmalschutz- und Lärmgutachten oder Bürgerbeteiligung verzichtet wird. Dass Reinickendorf derzeit der Bezirk mit den wenigsten Neubauten in Berlin ist, ist ebenso wenig in erster Linie ein personelles Problem wie auf Landesebene, wo Katrin Lompscher regelmäßig zu Unrecht gescholten wurde.

Reinickendorf ist nun mal kein Bezirk, in dem es ein großes Potential für Hochhaussiedlungen gibt, durch die in anderen Bezirken viele Wohneinheiten entstehen. Wenn das Schumacher-Quartier in einigen Jahren fertig gestellt wird, rückt Reinickendorf in der Statistik schlagartig nach oben und auch dann ist das nicht umgekehrt das Verdienst des dann im Amt befindlichen Bezirksbürgermeisters. Fakt ist, dass die rot-rot-grüne Regierung ein schweres Erbe mit vielen zehntausenden fehlenden Wohnungen angetreten hat. Fakt ist, dass in Verantwortung der LINKS geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen mehr gebaut wurde als in den Jahrzehnten zuvor und im Übrigen der Mietendeckel nicht zu einer Verringerung des Neubaus geführt hat. Fakt ist, dass darüber hinaus konkrete Planungen für zehntausende Wohnungen in zwölf neuen Stadtquartieren vorliegen, die in den nächsten Jahren entstehen werden. Fakt ist, dass die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen durch die v.a. bezahlbare Wohnungen entstehen, bis zum Anschlag und an die Kapazitätsgrenze planen und bauen und die privaten Bauunternehmen, die niemals in der Geschichte Berlins im Falle einer Wohnungsnot das Problem gelöst haben, immerhin mit dem Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung auf den Bau eines deutlich höheren Anteils an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen verpflichtet wurden. Gemessen am Bedarf fehlen derzeit bezahlbare Wohnungen aufgrund von Versäumnissen der Großen Koalition in Berlin, aufgrund von Spekulation und aufgrund eines massiven Zuzugs nach Berlin in den letzten Jahren sowie der genannten Restriktionen, aber es wurde politisch entschieden gegengesteuert und es wird alles dafür getan, den Bedarf so schnell wie möglich zu befriedigen, was aber leider nicht gleich morgen sein kann.