XX / 52. Sitzung
BVV-Report
Allgemeines
Auch die 52. Sitzung der BVV Reinickendorf fand im digitalen Format statt – und das wird auch so bleiben, denn die festgestellte außergewöhnliche Notlage durch die Pandemie wurde einmütig bis zur Sommerpause verlängert. Die Sitzungen der BVV Reinickendorf finden schon seit langem digital statt, nun gibt es aber zusätzliche rechtliche Hinweise der Senatsinnenverwaltung, wie eine solche digitale BVV durchzuführen ist. Dies verkompliziert den gesamten Prozess in Reinickendorf, hat sich aber im „Testlauf“ als handhabbar herausgestellt.
Wahl einer stellvertretenden Schriftführerin
Durch den Tod des AfD-Verordneten Klaus-Dieter Meckes ist ein Platz eine:r stellvertretenden Schriftführer:in vakant. Die AfD unterbreitete erneut ihren krachend durchgefallenen Vorschlag Annerose Schrapp. Die Wahl wird als Briefwahl durchgeführt. Der AfD-Vorschlag wird durch die Linksfraktion nicht unterstützt.
Einwohneranfragen
Auch in dieser BVV hatten die Einwohner:innenanfragen einen klaren verkehrspolitischen Schwerpunkt. Von den neun eingereichten Anfragen drehten sich sechs um die Frage der Verkehrsberuhigung des Waldseeviertels in Hermsdorf. Zum Hintergrund: Der Kiez direkt an der Landesgrenze ist von massivem Pendlerverkehr geplagt, der sich durch die kleinen Wohnstraßen als Schleichweg zur B96 quält. Nach jahrelanger Diskussion hatte die BVV vor einem Jahr endlich beschlossen, versuchsweise eine wirksame Maßnahme der Verkehrsberuhigung dort einzuführen. Zunächst testweise sollten nach Optimierung der Ampelschaltung auf der B96 zwei Straßen durch Modalfilter an der Landesgrenze für den Motorisierten Individualverkehr abgesperrt werden, um den MIV wieder auf die dafür eigentlich vorgesehene B96 zu leiten. Untersucht werden sollte, wie sich die Verkehrsströme in der Folge verändern und ob es zu einer starken Belastung von Nebenstraßen nahe des Waldseeviertels kommt. Dieser Beschluss wurde vom Bezirksamt unter Verweis auf ein fragwürdiges Kurzgutachten des Rechtsamtes des Bezirksamtes nicht umgesetzt.
Die erste Anfrage bezog sich auf einen, den Ausführungen der zuständigen CDU-Stadträtin zufolge aktuellen, erneuten Versuch des Bezirksamtes, bei der zuständigen Senatsverwaltung eine Höherstufung der Straßen ins Hauptverkehrsnetz zu erreichen, was das Ansinnen der Bürger:innen-Initiative und des Verkehrsausschusses der BVV für Verkehrsberuhigung geradezu ins Gegenteil verkehrt. In der BVV für Empörung sorgte zudem, dass über diesen erneuten Versuch die BVV nicht in Kenntnis gesetzt worden war. Dies reiht sich ein in die Alleingänge der Stadträtin beim Thema Waldseeviertel. Es ist aber zu erwarten, dass das Anliegen der CDU-Stadträtin, der Autoverkehr solle schneller durch das Wohngebiet Waldseeviertel rollen, erneut abschlägig beschieden wird.
Bei der zweiten Waldseeviertelanfrage ging es um die von der Linksfraktion schon mehrfach kritisierte rechtliche Stellungnahme des Rechtsamtes des Bezirksamtes. Durch das Berliner Mobilitätsgesetz wurde in das Berliner Straßengesetz ein Passus (§ 4 Abs. 1 BerlStrG) eingefügt, demzufolge die Teileinziehung – also der Ausschluss bestimmter Verkehrsarten von der Nutzung einer Straße – rechtlich möglich und eine der Maßnahmen sein soll, mit der für Verkehrsberuhigung gesorgt werden kann. Diese auch für die Auseinandersetzung um Verkehrsberuhigung im Waldseeviertel relevante Änderung des BerlStrG wurde in der Argumentation des Rechtsamtes völlig unverständlicherweise überhaupt nicht erwähnt, worunter die Qualität der rechtlichen Stellungnahme deutlich leidet.
In der dritten Waldseeviertelanfrage ging es um Kritik am vom BA beauftragten Verkehrsgutachten. Aus Sicht der Linksfraktion hat schon der Untersuchungsauftrag das Anliegen des Verkehrsausschusses und der BVV in zentralen Fragen nicht berücksichtigt (Verlagerung der Verkehrsströme und des Mobilitätsverhaltens nach Optimierung der Ampelschaltung auf der B96 und Installation von Modalfiltern) und so konnte das fast 50.000 Euro teure Gutachten, die Fragen, die den Verkehrsausschuss und die BVV seit Jahren umtreiben, nicht beantworten und keine relevanten neuen Erkenntnisse erbringen.
Die Initiative für die Verkehrsberuhigung im Waldseeviertel interessierte sich in ihrer vierten Anfrage für die Ideen des Bezirksamts, wie die Nebenstraßen entlastet werden und der Verkehr auf die Hauptstraßen geleitet werden kann. Während das Bezirksamt eher die Entlastung der Hauptstraßen zulasten der Nebenstraßen betreibt (und, wenn das nicht funktioniert, eben die Nebenstraßen zu Hauptstraßen zu machen versucht, siehe oben), ist für DIE LINKE klar: Überörtlicher Durchgangsverkehr gehört auf die B96 und nicht auf nicht hierfür angelegte Anwohnersträßchen! Um dem Pendlerverkehr im Allgemeinen, nach dem in der Zusatzfrage gefragt wurde, Herr zu werden, wollen wir es mit einem Mix aus verschiedenen Maßnahmen attraktiver machen, das Auto am Stadtrand abzustellen und den ÖPNV oder das Fahrrad zu nutzen: Taktverdichtung und Ausbau von S1 und S25, Optimierung und Ausweitung von Busverbindungen, Umsetzung der i2030-Maßnahmen zur Stärkung des Schienenverkehrs, Park und Ride- und Bike and Ride-Parkplätze an Bahnhöfen im brandenburgischen Umland, eine Stärkung der Fahrradinfrastruktur, Mobi-Hubs und vieles mehr. Dass dieser Ansatz vom verkehrspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Herr Teller, in einem formal unzulässigen Zwischenruf als „peinlich“ bezeichnet wurde, verwundert stark, denn dieser Ansatz ist gemeinsame Politik von R2G auf Landesebene seit 2016 und wird sich bestimmt auch in zumindest ähnlicher Form im nächsten AGH-Wahlprogramm der SPD finden. Erneut zeigte sich somit, dass die SPD keine einheitliche und konsistente Position in der Verkehrspolitik vertritt.
Bei einer weiten Bürger:Innenanfrage ging es um die Gewerbeerlaubnis des Imbisses „Zum Würfel IV“ am Flughafensee. Der Bürger äußerte sich besorgt, dass es durch den Imbiss zu einer verstärkten Vermüllung in der Umgebung kommen wird. Unser Fraktionsvorsitzender Felix Lederle setzte sich erfolgreich dafür ein, dass die Frage behandelt werden konnte, äußerte sich dankbar für den Hinweis des Bürgers und schlug vor, dass sich der zuständige Ausschuss nach den Sommerferien mit den Erfahrungen aus dem Sommer befassen soll und dann bei Bedarf Gegenmaßnahmen gegen Vermüllung beschließt.
Die anderen Bürgeranfragen konnten leider wegen Zeitmangels nicht mehr behandelt werden. Verantwortlich hierfür ist das Bezirksamt, das mit seiner Totalverweigerung in Sachen Waldseeviertel zahlreiche Bürger:innen gegen sich aufgebracht hat und es ist davon auszugehen, dass das Thema auch in allen zukünftigen BVV-Sitzungen eine wichtige Rolle spielen wird. Die Linksfraktion hatte sich im Ältestenrat dafür ausgesprochen, dass alle Fragen zum Waldseeviertel gemeinsam behandelt werden und nur eine Rederunde der Fraktionen zum Thema stattfindet, damit auch die anderen Einwohnerfragen drankommen, aber für dieses Verfahren gab es keinen Konsens aller Fraktionen im Ältestenrat. So konnte die wichtige Einwohnerfrage nach dem Vorhaben der Bundesregierung einen neuen Regierungsterminal auf dem ehemaligen Flughafen Tegel zu errichten, nicht behandelt werden. Die Linksfraktion hat einen Antrag hierzu im Geschäftsgang, der vorsieht, dass das Bezirksamt gegenüber der Bundesregierung deutlich machen soll, dass dieses Vorhaben nicht im Interesse des Bezirks liegt.
Mündliche Anfragen
Bei den mündlichen Anfragen interessierte sich die CDU-Fraktion für den geplanten Fußgängerüberweg über die Heinsestraße in Höhe des S-Bahnhofs. Der Grund, warum dies nicht wie geplant, Ende 2020 umgesetzt wurde, ist, dass der Übergang zur Kostenersparnis gemeinsam mit der neuen Beleuchtung eingerichtet werden sollte. Nach neuen Erkenntnissen von Stadtlicht reichen die Bestandsleuchten aber nicht aus, um einen Fußgängerüberweg damit ausreichend zu sichern. In der Folge hat das BA nun die notwendigen 160.000 EUR bei der Senatsverwaltung beantragt.
Die Fraktion der Grünen fragte nach dem Umsetzungsstand des Projektes flotte Berlin kommunal. Zum Projekt: Gemeinsam mit Kooperationspartner:innen werden Lastenräder zur Verfügung gestellt, die von jedermann ausgeliehen und genutzt werden können. Nach den bisherigen Erfahrungen wird dies von den Bürger:innen auch gut nachgefragt. Die BVV hat beschlossen, dass dieses Projekt auf mehr Standorte ausgeweitet werden soll, dazu gibt es aber bis heute keine Vorlage zur Kenntnisnahme.
Bezirksbürgermeister Herr Balzer antwortete, dass das Vergabeverfahren bis heute nicht beendet wurde und es daher noch keine VzK gebe. Der Bezirk konnte aber schon eine Förderung der Senatsverwaltung in Höhe von 80% einwerben, die restlichen Mittel kommen aus dem Bezirkshaushalt. Zu weiteren Standorten könne er sich allerdings noch nicht äußern, da dies noch nicht spruchreif sei. Das Ziel seien zehn Standorte.
Die Fraktion der FDP erkundigte sich nach der Einrichtung öffentlicher Grillflächen in Reinickendorf. Dies war bei den vergangenen Haushaltsberatungen eine gemeinsame Priorität der Fraktionen der SPD, Grüne, FDP und DIE LINKE. Die Bezirksstadträtin Frau Schultze-Berndt, die dem Vorhaben stets kritisch gegenüberstand, antwortete, dass die Fläche auf dem Gelände der Familienfarm Lübars vorbereitet sei und sie damit rechne, dass das Grillen dort zum 01. Juni beginnen könne. Wir freuen uns, dass die zuständige Stadträtin das Vorhaben von r2g und FDP innerhalb des im Bezirkshaushalt vorgesehenen Kostenrahmens umsetzt! Grillen ist für viele Bürger:innen ein Stück Lebensqualität, es ist auf Balkons in Mietwohnungen aber nicht ohne weiteres möglich. Durch die öffentliche Grillfläche soll dies nun allen Bürger:innen ermöglicht werden. Unverständlich blieb, weshalb die SPD die Umsetzung des auch von ihr in den Haushaltsverhandlungen unterstützten Vorhabens, wieder eine öffentliche Grillfläche zuzuweisen, nun als zu teuer kritisierte und mittlerweile offenbar ablehnt.
Die Linksfraktion erkundigte sich nach den Arbeitsbedingungen in den Bürgerämtern in Reinickendorf. Hier steht den Mitarbeiter:innen pro Kunde ein kürzerer Zeitslot zur Bearbeitung von Anliegen bei gleichzeitig längeren Öffnungszeiten als in vielen anderen Bezirken zur Verfügung. Dies führt zu einer im Bezirksvergleich in dopperlter Hinsicht besonders hohen Arbeitsbelastung. Stadtrat Herr Maack informierte ausführlich, aber sehr technisch und zur eigentlichen Problematik, der höheren Arbeitsbelastung der Beschäftigten im Bezirksvergleich, äußerte er sich nur am Rande. Der Stadtrat lobte sich dafür, dass die Mitarbeiter:innen des Reinickendorfer Bürgeramtes durch die Taktverdichtung überdurchschnittlich viel zur Bewältigung des pandemiebedingten Terminstaus beigetragen hätten. Die Linksfraktion kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Stadtrat hier seine eigene Profilierung auf dem Rücken seiner Mitarbeiter:innen betreibt. Zur Frage danach, ob den Mitarbeiter:innen dafür eine Kompensation bspw. in Form von zusätzlichen Urlaubstagen zu Gute kommt, konnte Herr Maack nur auf neue Möbel in den Bürgerämtern verweisen; andernfalls sei dies „rechtlich schwierig“. Einig sind wir uns mit dem Stadtrat, dass die Mitarbeiter:innen in den Bürgerämtern eine sehr gute Arbeit leisten und mehr Wertschätzung erfahren müssen. Wir werden an diesem Thema dranbleiben und fordern, dass die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter:innen in den vier Bürgerämtern im Bezirk zeitnah wieder auf das in anderen Bezirken übliche Niveau zurückgeführt wird!
Um den Stand der Bearbeitung der Leitlinien für Bürgerbeteiligung ging es in der mündlichen Anfrage der SPD-Fraktion. Bezirksbürgermeister Balzer antwortete, dass 2020 ein Träger beauftragt wurde und dieser ein Ladenbüro in der Scharnweberstraße 55a angemietet hat. Dort sollen durch den Träger Beratungsleistungen rund um das Thema Bürger:innenbeteiligung angeboten werden.
Die zweite Mündliche Anfrage der Linksfraktion nach der Anzahl und Höhe der Bußgelder, die der Bezirk seit der Novelle des Zweckentfremdungsverbots 2018 für ungenehmigte und somit illegale Ferienwohnungen verhängt hat, wurde leider nicht mehr behandelt. Aus der zwischenzeitlich vorliegenden schriftlichen Antwort geht hervor, dass es in Reinickendorf seit 2018 lediglich 7 Bußgeldverfahren gab! Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum waren es mehr als 700 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Beratung offener Drucksachen
In der ersten beratenen Drucksache ging es um eine Vorlage zur Kenntnisnahme zu Geschwindigkeitskontrollen in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr in der Holzhauser Straße. In der Ausgangsdrucksache wurde das BA gebeten, den Wunsch nach mehr Kontrollen an die Senatsverwaltung für Inneres und Sport heranzutragen. Diese legte in ihrer Antwort dar, dass es Kriterien dafür gibt, wo bevorzugt Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt werden und die Holzhauser Straße diese Kriterien nicht erfüllt. Dem Bezirk bleibt nun nur noch, die Holzhauser Straße mit Dialogdisplays auszustatten. Die Antwort der Senatsverwaltung überrascht nicht wirklich. Aufgrund von Personalknappheit wird generell in 30-er-Zonen zu wenig kontrolliert. Der unter r2g begonnen Personalaufwuchs bei der Polizei (und in den Ordnungsämtern für den ruhenden Verkehr) muss aus Sicht der Linksfraktion fortgeführt werden.
Zwei Anträge der AfD wurden von allen anderen Fraktionen abgelehnt, weil bereits qualifiziertere BVV-Beschlüsse zum selben Thema erfolgt sind.
Zuletzt lagen zwei Anträge für Bussonderfahrstreifen im Bezirk vor. Der erste Antrag der SPD war ein Prüfauftrag im Zusammenhang mit dem angestrebten 10-Minuten-Takt. Der zweite Antrag der FDP zielte auf eine von der BVG erwünschte Verbesserung für den Busverkehr in der Gotthardtstraße. Beide aus unserer Sicht guten Anträge wurden von der Linksfraktion unterstützt, aber von der Mehrheit aus CDU und AfD abgelehnt, wie schon viele andere sinnvolle verkehrspolitische Initiativen in den letzten Jahren, die vermeintlich zu einer Belastung für den Motorisierten Individualverkehr führen.