XX / 46. Sitzung

BVV-Report

Außergewöhnliche Notlage

Die 46. Sitzung der BVV-Reinickendorf fand aufgrund der Pandemie erstmals als Videokonferenz statt, die auch per Livestream auf YouTube übertragen wurde. Der Bezirk Reinickendorf ist mit diesem Vorgehen Vorreiter in ganz Berlin und die anderen Bezirke werden diesem Beispiel gewiss nach und nach folgen. Eine Geschäftsordnungsänderung direkt nach der Sommerpause nicht zuletzt auch auf Initiative der Linksfraktion hat es möglich gemacht, eine außergewöhnliche Notlage festzustellen, auf deren Grundlage Sitzungen als Videokonferenz durchgeführt werden können. Der erste Tagesordnungspunkt war folglich die Feststellung dieser Notlage.

Einwohnerfragen

Auch Einwohnerfragen konnten gestellt werden. So Antwortete Stadträtin Frau Schultze Berndt auf eine Frage der Anwohnerinitiative des Waldseeviertels, wann die temporären Modalfilter aufgestellt werden, dass sie mit den Ergebnissen eines ihrer Ansicht nach notwendigen Gutachtens für Ende November rechne. Allerdings betrachte sie dieses Ergebnis lediglich als Entscheidungsgrundlage und blieb unverbindlich, was die Umsetzung des ohne Gegenstimmen verabschiedeten BVV-Beschlusses vom Mai 2020 angeht. Die Linksfraktion wird sich zielstrebig dafür einsetzen, dass der BVV-Beschluss, der lediglich ein Testlauf für die Modalfilter vorsieht, auch umgesetzt wird.

Frau Schultze-Berndt antwortete ebenfalls auf die Einwohnerfrage, wann ein Teil der Jungfernheide, der in den 70er Jahren dem Flughafen Tegel angegliedert wurde, nach dessen Schließung wieder für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden könne. Sie wies darauf hin, dass der militärische Teil von TXL noch zehn Jahre in Betrieb bleibe, Munitionsfunde im Boden zu erwarten seien und die Jungfernheide vorerst die einzige nord-südliche Verkehrsverbindung bleibe, was einer Öffnung auf absehbarer Zeit entgegenstehe.

Die nächste Einwohnerfrage bezog sich auf den schwedischen Immobilieninvestor Heimstaden, der in großem Stil Berliner Wohnungsbestände kaufen will. Der Bezirk hat ein Vorkaufsrecht für drei Immobilien, die im Milieuschutzgebiet beim Letteplatz liegen. Die Gesobau prüfte auf Antrag des Bezirks, ob für diese Immobilien der Vorkauf realisiert werden soll. Zwei dieser Immobilien soll der Bezirk im Ergebnis der Prüfung für die Gesobau kaufen, eine weitere Immobilie bestand die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Gesobau und später zusätzlich der Gewobag nicht, weil dort eine Asbestsanierung notwendig ist. Felix Lederle bestätigte, dass das Vorgehen des Bezirksamts korrekt war, regte aber an, dass das Bezirksamt bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vorstellig werden solle, um auszuloten, ob gemäß der Strategie des Landes für eine asbestfreie Hauptstadt bis 2030 im Falle eines Vorkaufs ein zusätzlicher Zuschuss für Asbestsanierung gewährt werden kann, damit der Vorkauf und die Überführung in öffentliches Eigentum für Gesobau oder Gewobag wirtschaftlich wird.

Mündliche Anfragen

Bei den mündlichen Anfragen musste die Linksfraktion mit großem Unverständnis zur Kenntnis nehmen, dass Bezirksbürgermeister Herr Balzer sich offenbar mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf nicht mehr an seine Absprache mit dem Land Berlin und den anderen Bezirken gebunden fühlt, dass in jedem Bezirk zwei Standorte für Modulare Unterkünfte für Geflüchtete (MUF) aus der zweiten Tranche mit Wohnungsähnlichem Zuschnitt gefunden werden müssen. Obwohl eine Abstimmung zwischen Land und Bezirk stattgefunden hat und obwohl denkmalschutzrechtlich und städtebaulich aus Sicht des Bauamtes Reinickendorf nichts gegen die Errichtung eines MUF 2.0 beim Paracelsusbad spricht, hat Herr Balzer in der BVV mitgeteilt, dass er den Bau politisch ablehnt, ohne einen Alterbnativstandort benennen zu können. Der Senat und die 12 Bezirke Berlins hatten sich zu Beginn dieser Legislaturperiode aber darauf verständigt, dass im Sinne des „Wir schaffen das!“ der CDU-Bundeskanzlerin in jedem Bezirk zwei Modulare Flüchtlingsunterkünfte mit Wohnungszuschnitt (MUF 2.0) gebaut werden. Der Bedarf ergibt sich u.a. daraus, dass die Anzahl der Unterkünfte mit Gemeinschaftsküchen und -bädern schrittweise reduziert werden muss. Rund die Hälfte aller Geflüchteten werden im Rahmen von freiwilliger Amtshilfe durch das Land untergebracht, obwohl rechtlich gesehen, die Bezirke für die Unterbringung aller statusgewandelten Geflüchteten zuständig sind. Die Zusammenarbeit zwischen Land und Bezirk liegt also im ureigenen Interesse des Bezirks. Die Hälfte aller Geflüchteten in Berlin wird in genau drei Ost-Bezirken untergebracht und in Reinickendorf leben vergleichsweise wenige Geflüchtete. Nach jahrelangen Diskussionen vor dem Hintergrund von Flächenknappheit und -konkurrenzen sind zwei Standorte für den Bau von MUF 2.0 in Reinickendorf übriggeblieben und die Linksfraktion stellt sich der politischen Verantwortung und unterstützt den Bau eines MUF 2.0 beim Paracelsusbad und in der Cité Pasteur.  

Marion Kheir wollte von Sozialstadtrat Herr Brockhausen wissen, ob mit einer teilweisen Rückstufung der Corona-Warnstufe an vielen Reinickendorfer Schulen nicht ein falsches Signal gesendet wurde und das Lager der Corona-Verharmloser damit ungewollt gestärkt wurde. Dieser entgegnete, dass nach einer einheitlichen Bewertung auf Stufe „Orange“ im Nachgang eine „Schulscharfe“ Bewertung im Einzelfall vorgenommen worden sei. Die Linksfraktion hält dieses Vorgehen angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens im Sinne des Awareness-Ansatzes von Land und Bezirken für falsch. Eine einheitlich hohe Warnstufe an allen Schulen Berlins, zumindest aber der Verzicht auf eine Lockerung der Regeln in zahlreichen Reinickendorfer Schulen wäre demnach der Situation angemessen gewesen, die dadurch geprägt ist, dass die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem zunehmend überlastet sind und die Kapazitäten in den Krankenhäusern immer knapper werden und viele nicht mit Corona zusammenhängende medizinisch sinnvolle Maßnahmen derzeit unterbleiben müssen. Die Lage in den Krankenhäusern ist bereits sehr ernst und alle Lockerungen der Corona-Regeln gehen zu Lasten der Beschäftigten in den Krankenhäusern, bei denen zunehmend Fälle von Burn-Out auftreten und zu Lasten von Menschen, die auf andere wichtige medizinische Maßnahmen warten müssen, weil immer mehr Krankenhauskapazitäten für die Behandlung von Corona-Patienten benötigt werden. 

Bürgerantrag Initiative „Schule in Not“ - Rekommunalisierung der Schulreinigung

Im Folgenden stellte die Bürgerinitiative „Schule in Not“ ihren erfolgreichen Bürgerantrag vor, der eine Rekommunalisierung der Schulreinigung fordert, um die Qualität der Reinigung und die Qualität der Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte in den Schulen zu verbessern. Stadtrat Herr Dollase hielt dem Ansinnen der BürgerInnen eine Befragung dagegen, nach deren Ergebnis 80% der Schulen mit der Reinigung zufrieden seien und daher kein Anlass für einschneidende Veränderungen, sondern lediglich für Nachbesserungen gegeben sei. Felix Lederle stellte sich hingegen ohne wenn und aber hinter das Anliegen des Bürgerantrags, dankte der Initiative für ihr großes Engagement und machte klar, dass die Sauberkeit an Schulen und die Arbeitsbedingungen für die Reinigungskräfte eng miteinander verknüpft sind und beide Dimensionen des Themas gleichberechtigt nebeneinander stünden. Lederle weiter: „Die Corona-Krise hat die Bedeutung der Qualität von Schulreinigung nochmals besonders eindringlich verdeutlicht. Die Qualität der Schulreinigung ist in Reinickendorf besser als in anderen Bezirken, aber auch bei uns gibt es Defizite und berechtigte Unzufriedenheit und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte wird vom Bezirksamt überhaupt nicht thematisiert. Gewünscht hätte ich mir, dass das Bezirksamt in der Debatte der letzten Monate konkrete Handlungsschritte aufzeigt, was bereits innerhalb des bestehenden Systems getan werden kann, angesichts der Beschwerden und Unzufriedenheit in immerhin jeder 5. Schule im Bezirk.“

Nach der Beschlusslage der Partei DIE LINKE Berlin soll die Schulreinigung in Berlin so schnell wie möglich rekommunalisiert werden. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch eine Rekommunalisierung mit Festanstellung und festem Einsatzort und betrieblicher Mitbestimmung sorgen für eine größere Identifikation der Reinigungskräfte mit „ihrer“ Schule, erleichtern Absprachen innerhalb der jeweiligen Schule und wirken sich positiv auf die Qualität der Arbeit aus. Geradezu absurd wirkt in diesen Zeiten ein Gegenargument des Bezirksamts, dass der Krankenstand durch eine Rekommunalisierung steigen würde. Ist in den letzten Monaten immer noch nicht klar geworden, dass es wünschenswert ist, wenn ArbeitnehmerInnen zuhause bleiben wenn sie krank sind, ohne Nachteile für ihr Beschäftigungsverhältnis fürchten zu müssen? Felix Lederle versprach, dass die Linksfraktion so oder so und auch in der nächsten Legislaturperiode an diesem wichtigen Thema dran bleiben wird.

Die Rede des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN findet sich auf der Webseite der Linksfraktion. Per schriftlichem Umlaufverfahren wurde der Bürgerantrag mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP abgelehnt.

Komplette Schulschließung verhindern

Danach kam ein dringlicher Antrag der Linksfraktion unter Mitzeichnung von Bündnis90/ Die Grünen und FDP zur Beratung, der vorsieht, der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts und der entsprechenden Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu folgen, vor einer angesichts der steigenden Infektionszahlen drohenden Komplettschließung von Schulen bzw. einem rein digitalen Schulbetreib, der erfahrungsgemäß viele SchülerInnen ausschließt und gesellschaftliche Folgeprobleme mit sich bringt, zunächst die Klassen in den Schulen zu teilen und wechselweise in Präsenz und digital zu beschulen. Der Antrag fordert die Senatsbildungsverwaltung auf, zügig die entsprechenden Vorbereitungen abzuschließen und die Voraussetzungen im Hinblick auf Personal, Räume und v.a. Technik zu schaffen, um die Klassenfrequenzen zu verringern und mit einem Mix aus Homeschooling und Präsenzunterricht weiterzumachen, falls die Infektionszahlen weiterhin ansteigen. Die GEW will mit dieser Maßnahme einen besseren Schutz, des häufig zu Risikogruppen gehörenden Personals an Schulen erreichen und trägt der Tatsache Rechnung, dass Schulen immer schon Infektionsherde sind und auch Kinder und v.a Jugendliche, bei denen selbst Gottseidank nur sehr selten schwere Krankheitsverläufe auftreten, das Virus dennoch in ihre Familien mit Eltern und Großeltern tragen. Felix Lederle forderte die BVV in seiner Rede auf, sich in dieser Frage gegenüber dem Senat zu positionieren, dass er seine Anstrengungen verstärkt und vor einer drohenden Komplettschließung erst dieses Mix-Modell umgesetzt werden muss.

Die Rede des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN findet sich auf YouTube. Per schriftlichem Umlaufverfahren wurde der Dringlichkeitsantrag von Linksfraktion, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP mit den Stimmen aller Fraktionen außer der SPD angenommen.