XX / 33. Sitzung

BVV-Report

Die erste Sitzung nach der Sommerpause begann mit einem erfreulichen Beschluss. Die BVV Reinickendorf verabschiedete mit den Stimmen von rot-rot-grün eine Resolution der Linksfraktion und der Grünen, um sich mit den Beschäftigten des Cinestar-Kinos Tegel solidarisch zu zeigen, die zurzeit für eine faire Bezahlung kämpfen. Trotz starker Umsatzsteigerungen bietet Cinestar seinen Mitarbeitern abzüglich der Inflationsrate einen geringeren Lohn als im Jahr des letzten Tarifabschlusses. Die Linksfraktion stellt sich hier demonstrativ an die Seite der Beschäftigten.
Ein weiterer Dringlichkeitsantrag der CDU zur Einstellung eines Datenkoordinators sorgte für Konfliktpotenzial zwischen SPD und CDU. Sozialstadtrat Brockhausen hat eine solche Stelle bereits im Haushalt verankert und wird dabei von der SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und Linksfraktion unterstützt. Ob die CDU eine andere Ausrichtung des Datenmanagements im Sinn hat oder es nur um die Frage geht, wer die Idee zuerst hatte, blieb unklar. Im Ausschuss für Sozialraum hatten sich die VertreterInnen aller Fraktionen von Linksfraktion bis CDU, die sich hierzu äußerten, bereits vor langer Zeit für die Schaffung einer solchen Stelle ausgesprochen.
Bei den Einwohneranfragen lieferte AfD-Stadtrat Maack eine bemerkenswerte Antwort auf die Frage einer Anwohnerin bezüglich mangelnder Kontrolle parkender Autos am Packereigraben. Hr. Maack bedauerte, dass seine Abteilung zwar 44 Mitarbeiter aber nur einen Stadtrat zur Verfügung habe und es somit auch zu fehlerhaften Kontrollen kommen kann. Politische Verantwortung zu übernehmen, sieht anders aus.
Auf die Anfrage einer Bürgerin bezüglich des Wohnungswechsels während des Bezugs sozialer Transferleistungen erläuterte Felix Lederle die Rechtslage: Eine Zusicherung zum Umzug ist zu erteilen, wenn das Wohnungsangebot angemessen und der Umzug notwendig ist. Die Angemessenheit bemisst sich an den Richtwerten. Notwendig kann ein Umzug sein, wenn ein plausibler Grund vorliegt, von dem sich auch eine nicht leistungsempfangende Person leiten lassen würde. Die Linksfraktion fordert, dass LeistungsbezieherInnen seitens des Amtes vollumfänglich über die Rechtsvorschriften informiert werden und diese zu Gunsten der LeistungsbezieherInnen ausgelegt werden. Im Rahmen einer entsprechenden mündlichen Anfrage herrschte Unzufriedenheit mit der Ausgestaltung der Warteräume des Bürgeramts im Rathaus Reinickendorf, die nach Ansicht von Felix Lederle eine Visitenkarte des Bezirks darstellen sollen. Stadtrat Maack stimmte dem zwar zu, kann bislang aber kaum mehr vorweisen, als Aushänge und Zettel in den Warteräumen zu ordnen und farblich zu sortieren. Da darf es auch etwas mehr sein, insbesondere wenn man wie Hr. Maack im weiteren Verlauf der Debatte der boomenden Metropole Berlin anhängt, ein „Failed-State“ zu sein, was bei einem Nettozuzug von 40.000 Menschen pro Jahr eine reichlich weltfremde Meinung ist, die aber ins politische Konzept der AfD passt, Verunsicherung und Ängste zu schüren und die BRD und Berlin schlecht zu reden, wo es nur möglich ist. Auf die Frage von Felix Lederle, welche Schlussfolgerungen das Bezirksamt aus den Stellungnahmen von
Umweltverbänden bezüglich des Baumschutzes des Bebauungsplans 12-69 im Ziekowkiez zieht, konnte Bezirksbürgermeister Hr. Balzer keine Antwort geben, da noch nicht alle Stellungnahmen eingegangen sind und die eingegangenen noch nicht geprüft wurden. Veränderungen in den Bauplanungen, z.B. was die Höhe der Gebäude angeht, wollte er aber auch nicht ausschließen. Zum Problem der Zuwegung für die Feuerwehr konnte das Bezirksamt ebenfalls noch keine Auskunft geben.
Die große Anfrage zum Thema „persönliches Budget“ konnte in dieser Sitzung endlich behandelt werden, nachdem sie bereits im März eingebracht und dann mehrfach verschoben worden war. Bezirksstadtrat Hr. Brockhausen räumte unumwunden ein, dass trotz aller Anstrengungen des Bezirks die Quote der Budgetnehmer gegenüber den Anspruchsberechtigten in Reinickendorf mit rund 0,5 % nach wie vor viel zu gering ist. Im Jahr 2019 wurden bislang überhaupt erst vier Anträge in Reinickendorf gestellt.

Felix Lederle erkannte an, dass die Grundidee der Leistungsform des Persönlichen Budgets gut und richtig ist: Assistenz ist für viele Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sehr wichtig, um an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können. Mit der Leistungsform des Persönlichen Budgets besteht für alle Menschen mit Behinderungen, die einen Leistungsanspruch gegenüber einem Sozialleistungsträger haben, eine Alternative zur klassischen Sachleistung in Form einer Geldleistung oder Gutscheinlösung. Lederle führte aus, dass es bei der Politik für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich immer darum gehen müsse, die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung dieser Menschen zu stärken. Gleichzeitig kritisierte der Vorsitzende der Linksfraktion, dass es seit der Einführung vor vielen Jahren bei der Umsetzung der Leistungsform des Persönlichen Budgets erhebliche strukturelle Probleme und Defizite gibt – nicht nur in Reinickendorf, sondern leider in ganz Deutschland. Ein Problem ist, dass Trägerübergreifende Budgets nach wie vor überall eine Ausnahme darstellen. Ein Problem besteht darin, dass Antrags- und Bewilligungsverfahren für das Persönliche Budget nach wie vor uneinheitlich, bürokratisch und langwierig verlaufen. Ein anderes Problem bleibt die Einkommens- und Vermögensabhängigkeit, also die aufwändige Bedürftigkeitsprüfung. Erhebliche Probleme gibt es bei der Umsetzung des persönlichen Budgets auch immer noch bei der Mitnahme von Assistenzkräften ins Krankenhaus oder in Vorsorge- sowie Rehabilitationseinrichtungen für all diejenigen Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, die ihre Assistenz nicht über das Arbeitgebermodell organisieren. Dies ist aus Betroffenensicht eine erhebliche Ungleichbehandlung. Aber selbst diejenigen Menschen, für die die Mitnahme ihrer Assistenzkräfte geregelt wurde, berichten immer wieder von Diskriminierungen und bürokratischen Barrieren. 

Die Linksfraktion ist der Auffassung, dass die strukturellen Probleme bei der Umsetzung der Leistungsform des Persönlichen Budgets dringend auf Bundesebene angegangen werden müssen, damit das Versprechen, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stärken zu wollen, endlich auch in der Praxis eingelöst wird. Die zweite große Anfrage zum Thema Jugendarbeit wurde von Bezirksstadtrat Hr. Dollase beantwortet, der das Publikum wie gewohnt mit einer sehr schnell vorgetragenen Ansammlung von Fakten und Daten latent überforderte. Reinickendorf konnte bei stetig schrumpfenden Budgets bislang immerhin neun Jugendeinrichtungen halten. Eine Infrastruktur wie sie vor 30 Jahren existierte muss aber erst wiederaufgebaut werden. Marion Kheir unterstrich dabei die Wichtigkeit von Straßensozialarbeit und forderte Mittel für die wichtigen Gruppenreisen in diesem Segment. Sie nannte es einen fatalen Fehler, dass die Reisen derzeit kaum vom Bezirk mitfinanziert werden.
Darüber hinaus machte Marion Kheir darauf aufmerksam, dass Berlins neues Jugendfördergesetz auch unter Mitwirkung von Jugendlichen entstanden ist. Genau diese Art von Partizipation forderte sie in deutlich höherem Maße auch in der Jugendarbeit des Bezirks.