XVIII / Sondersitzung


BVV-Report

Wenn Demokratie Ernst genommen wird

Auf Antrag der SPD traf sich die BVV am 5.3.2008 zu ihrer zweiten Sondersitzung in dieser Wahlperiode. Im Zentrum der Debatte stand die Große Anfrage der SPD „Jetzt Konsequenzen aus der Spendenaffäre der Bezirksbürgermeisterin ziehen“(Drs.-Nr.: 0455/XVIII). Wer gehofft hatte, dass Frau Wanjura, nach Urlaub und längerer Krankheit - wie sie erklärte „voller Tatendrang“ - ins Rathaus zurückgekehrt, nun für Aufklärung zu den zahlreichen „Unregelmäßigkeiten“ im Umgang mit Spenden in ihrem Verantwortungsbereich sorgen würde (vgl. 15. und 16. BVV-Sitzung), sah sich getäuscht. Keine Frage, die Bürgermeisterin plauderte ausführlich (ja, fast genussvoll) über „Kosakenzipfel“ und „Zipfelmützen“, „honorige Privatleute“ und „Fipps“, „grüne Zettel“ und „Erbsenzähler“. Was ihr unangenehm war, z. B. der alles auslösende Skandal um die Spende für die „Serenade am See“, wurde weggelassen. Letztlich erfuhr der Zuhörer, dass „in zwei oder drei Fällen ... fälschlicherweise eine Spendenbescheinigung ausgestellt worden“ sei und „in weiteren drei Fällen ... sich die Dokumentation und Aktenführung als verbesserungswürdig herausgestellt“ habe, im Grunde bloße Formfehler, die zu korrigieren seien. Denn: „Routine hilft in der täglichen Arbeit, sie ist aber auch ein schleichendes Gift.“

Wanjura philosophierte über Vertrauen, Loyalität und Verantwortung, die natürlich nur sie verkörpere. Ihr Auftritt zeigte das Gegenteil. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ benutzte sie ihre Rede zu einer ungezügelten politischen Abrechnung mit ihrem Stellvertreter (für sie ein no-name), dem sie u.a. eine „Verletzung einschlägiger beamtenrechtlicher Vorschriften“ vorwarf. Und leitende Beamte des Bezirksamtes (BA) mussten sich von ihr den Vorwurf einer Arbeitsverweigerung anhören (was den Personalrat des BA zu einer Protesterklärung veranlasst hatte). Selbst eine außerordentliche BA-Sitzung ließ sie nicht einlenken. Peter Senftleben nahm die Kampfansage an. So entwickelte sich ein in dieser Form in der BVV ungekannter Schlagabtausch zwischen der CDU und der SPD, den FDP-Fraktionsvorsitzender Vetter als „Schlammschlacht“ charakterisierte. „Höhepunkte“ waren die gegenseitige Aufforderung: „Machen Sie Ihren Platz frei!“ und die Drohung Wanjuras mit Ihrem Rechtsanwalt. Senftleben resumierte: „Wir hätten uns das ersparen müssen!“ Schwer vorstellbar, dass sich Bürgermeisterin und Stellvertreter danach wieder die Hand geben und zu einer sachlichen Zusammenarbeit im BA zurückkehren könnten.

Die nächsten Wahlen sind erst 2011.

„Wir haben Fragen gestellt und unser Recht auf Akteneinsicht wahrgenommen“, wies Anke Petters, Fraktionsvorsitzende von B90/Grüne, den Vorwurf zurück, eine Rufmordkampagne gegen die Bürgermeisterin eingerührt zu haben. Als sie aus anonymen Schreiben an die Fraktionen zitierte, konnten sich die CDU-Verordneten kaum noch zurückhalten. Die Unruhe ist verständlich: Die Götterdämmerung im Rathaus am Eichborndamm ist auch für die CDU spürbar. Bloßgelegt wurden in den vergangenen Wochen die Mechanismen von fast 13jähriger politischer Regentschaft der „Reinickendorf-Partei“, das „System Marlies Wanjura”.

Ich finde: Wenn Demokratie Ernst genommen wird, ist das gut für den Bezirk.

Friedrich Wilhelm

P.S.

Das BA hat am 26.2.08 offenbar unter Berufung auf Art. 18 BezVG mit der CDU-Mehrheit den „Ersatzbeschluss“ der BVV beanstandet, im Juni auch in Reinickendorf die Regenbogenfahne zu hissen (s. WiR 3/08). Die BVV hat daraufhin in ihrer Sondersitzung in einem Dringlichkeitsantrag ohne erneute Debatte wieder mit den Stimmen von SPD, B90, FDP und Grauen die Beanstandung ihres Beschlusses zurückgewiesen und eine Entscheidung der Bezirksaufsichtsbehörde beantragt.